Hebammen und Homöopathie – Eine kritische Anmerkung

Die Homöopathie hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Viele Fachleute, die mit Schwangeren, Müttern und Kindern arbeiten, haben wieder erkannt, welche großartigen Möglichkeiten eine homöopathische Therapie vor allem während der Schwangerschaft und in der Neugeborenenzeit eröffnet, wenn sich andere Maßnahmen unter anderem wegen ihrer Risiken verbieten. Homöopathie birgt die Chance, Störungen zu regulieren, noch bevor Schwangere, Mütter oder auch Kinder gesundheitlich entgleisen und deswegen invasive Maßnahmen nötig werden. Doch um verantwortungsvoll homöopathisch arbeiten zu können, bedarf es einer guten Ausbildung. Wie sieht es nun mit der Homöopathieausbildung für Hebammen aus?

Schon in seiner Anmerkung zum Paragraphen 284 Organon hat Samuel Hahnemann auf die Vorteile einer homöopathischen Behandlung während der Schwangerschaft, nicht zuletzt für das ungeborene Kind, hingewiesen: „Doch ist die Besorgung der Mütter in ihrer ersten Schwangerschaft durch eine gelinde antipsorische Cur, vorzüglich mittels der in dieser Ausgabe (§270) beschriebenen neuen Dynamisation des Schwefels unentbehrlich, um die fast stets bei ihnen vorhandene, schon durch Erbschaft ihnen mitgeteilte Psora, Erzeugerin der meisten chronischen Krankheiten, in ihnen und ihrer Leibesfrucht zu vertilgen, damit ihre Nachkommenschaft im Voraus dagegen geschützt sei.“ (Hier und im folgenden zitiert nach: Hahnemann, Samuel: Organon der Heilkunst, 6.Auflage, Haug 1999.)

Die Nachfrage nach homöopathischer Behandlung steigt also zu Recht, und Hebammen bieten sie zunehmend an. Deshalb ist es allerhöchste Zeit sich ernsthaft Gedanken über Qualitätsstandards zu machen, und welche Kriterien eine fundierte Ausbildung erfüllen muss, um Hebammen zu befähigen selbstkritisch und auf hohem Niveau zu arbeiten.

Ausbildungsrichtlinien erforderlich

Auf dem Gebiet der Akupunktur sind wir da schon ein Stück weiter.  Wir haben Richtlinien definiert; jetzt sollten wir uns beeilen, mit der Homöopathie nachzuziehen. Dazu sollten wir uns zuerst die Frage stellen, was eine gute Ausbildung eigentlich leisten muss:

Dabei könnte es durchaus sinnvoll sein, über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken. So arbeitet die "Qualitätskonferenz für homöopathische Aus- und Weiterbildung", die sich aus unterschiedlichen Vereinen und Gesellschaften deutscher Homöopathen und Homöopathinnen zusammensetzt, mit Hochdruck daran Qualitätsstandards und eine bundesweit anerkannte Zertifizierung zu erarbeiten. Übrigens nicht zuletzt angeregt durch die Anfragen von Verbraucherverbänden und der Gesundheitsministerkonferenz. Ich denke, das sollte auch uns Hebammen aufhorchen lassen. Hier könnte bald ein Zug ohne uns abfahren.

Bei einer Bestandsaufnahme der augenblicklichen Situation, kommt man um einige kritische Anmerkungen nicht herum. Zuallererst, es gilt noch immer: Um eine gute Hebamme zu sein braucht es auch heute noch das Gleiche wie schon zu allen Zeiten. Die uns allen hinlänglich bekannten Fähigkeiten und Qualitäten jenseits aller Moden und schicker Trends. Das ist das Wesentliche. Wenn sich eine Hebamme darüber hinaus für eine Zusatzausbildung entscheidet, sollte gewährleistet sein, dass sie die erlernte Methode gut beherrschen und verantwortungsvoll einsetzen lernt.

Ein „bisschen Homöopathie“ gibt es nicht

Tatsächlich ist das Niveau auf dem Hebammen homöopathisch arbeiten sehr unterschiedlich. Nur so ist es zu erklären, dass noch immer eine so große Zahl von Hebammen kritiklos die Empfehlungen zur Gabe von Komplexmitteln mit brisanten Mischungen vor oder nach der Geburt befolgen. Es muss sich endlich herumsprechen, dass ein solches Vorgehen aus homöopathischer Sicht nicht nur sinnlos ist, sondern sogar schädlich sein kann, ebenso wie die zum Teil erheblichen Überdosierungen mit all ihren schlimmen Folgen. Wir tragen Verantwortung und müssen uns entscheiden. Entweder wir machen sinnvolle Arzneimittelverordnungen oder wir lassen es bleiben. Ein „bisschen Homöopathie“ gibt es nicht.

Leider sind die Ausbildungsmöglichkeiten speziell für Hebammen eingeschränkt und bleiben in einigen Punkten hinter den oben genannten Anforderungen an eine qualifizierte Ausbildung zurück. Ganz besonders, so scheint es, kommt zu kurz, dass die Auszubildenden befähigt werden, sich grundlegende homöopathische Primärliteratur zu erschließen. Dadurch entsteht eine große Abhängigkeit von den Dozenten, die letztendlich im Alleingang entscheiden, was Hebammen wissen sollen, welche Einblicke sie erhalten, welche in der Homöopathie herrschenden Anschauungen mitgeteilt werden, und was unter Umständen dann doch nicht so wichtig ist oder womöglich zu kompliziert sein könnte.

Wir haben es bisher versäumt uns selbst Gedanken darüber zu machen welche Ansprüche wir auf diesem Gebiet an unsere Arbeit  stellen wollen und nehmen daher wenig Einfluss auf Wissensinhalte, Lernziele und Ausbildungsumfang.

Cave: Gemütssymptome

Ein ganz besonderes Anliegen ist es mir außerdem, einen kritischeren Umgang mit den so genannten Geistes- und Gemütssymptomen anzuregen. Sie sind wichtig, daran besteht kein Zweifel. Auch Hahnemann hat in den Paragraphen 210 bis 213 Organon ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese bei der Wahl eines Arzneimittels in besonderer Weise zu berücksichtigen sind. (Leider wird dabei oft überlesen, dass er sich dabei vor allem auf die Veränderung des Gemütszustandes während der Erkrankung bezieht <§212>).

Es gibt heutzutage in der Homöopathie zahlreiche Richtungen, die sich bei der Arzneiverordnung fast ausschließlich an dem beim Patienten wahrgenommenen Gemütszustand orientieren. Diese Ansätze können wichtige Impulse setzen, bergen aber auch nicht zu unterschätzende Gefahren. Vor allem dann, wenn Sie als Abkürzung missverstanden werden um das aufwendige und manchmal mühsame Arzneimittelstudium zu umgehen.

Es ist wichtig, sich klar zu machen, dass bei einer Anamnese nichts so sehr der eigenen Interpretation unterworfen ist wie die Aufzeichnung der Gemütssymptome, die wir an unserem Gegenüber wahrzunehmen glauben. Eine Rolle spielen kann dabei die eigene Tagesform, wachgerufene Erinnerungen an frühere Anamnesen, was uns zum vorschnellen Ziehen scheinbarer Parallelen verleiten kann, unsere ganz persönlich gefärbte Vorstellung von "normal", die eigene Biographie mit Ihren "wunden Punkten" und vieles mehr. Es braucht schon sehr viel Erfahrung und Selbstrefflektion um solche Untiefen zu umschiffen. Wer schon einmal die hitzige Diskussion zwischen Kursteilnehmern über die Gemütssymptome eines Patienten nach einer "Live-Anamnese" erlebt hat, weiß, wovon ich spreche.

In der Praxis können wir zum Glück feststellen, dass wir bei den meisten Störungen auch noch eine Reihe weiterer Symptome oder Modalitäten finden, die unzweifelhafter feststellbar sind und damit als verlässliche Hinweise gelten können. So zum Beispiel die Besserung im Freien, die Verschlechterung durch Bewegung, die Hungerattacke in der Nacht u.s.w.

Es scheint mir sinnvoll, sich bei der Suche nach einem passenden Arzneimittel zuerst einmal an diesen "eindeutigeren" Symptomen zu orientieren und dabei besonders die sonderlichen und charakteristischen Symptome ins Auge zu fassen (§153, Organon). (Natürlich kann auch ein Geistes- und Gemütssymptom sonderlich sein und damit von vorrangiger Bedeutung). Wenn sich vor diesem Hintergrund eine gute Ideen für eine passende Arznei einstellt, ist der Zeitpunkt gekommen um die eigene Wahrnehmung der anderen Person heranzuziehen, selbstkritisch zu beleuchten und bei der Mittelfindung  in besonderem Maße zu berücksichtigen.

Psychologiesieren und Katalogisieren

Oft wird jedoch einer anderen Vorgehensweise der Vorzug gegeben und es sei mir erlaubt sie hier etwas zu überzeichnen.

Ich würde sie gern mit  „Psychologisieren und Katalogisieren“ umschreiben. Dabei wird oft als erstes versucht die Frau einem bestimmten "Frauen-Typus" zweifelsfrei zuzuordnen. Sobald die Entscheidung getroffen ist, ob man es mit einem „romantisch-idealistischen“, einem „selbstwertgeschwächten“ oder einem „leidensunfähigen“ Typus zu tun hat, ist weitgehend die Entscheidung für ein Arzneimittel gefallen. Eine ungehemmt-kreative Interpretation des entsprechenden Arzneimittelbildes liefert dann praktischerweise auch noch gleich die Ursache für die  diagnostizierte Störung frei Haus. (... hat nie den Konflikt mit der Mutter bewältigt, ... hat nie die erhoffte Zuneigung erfahren, ... Hingabestörung aufgrund frühkindlicher Enttäuschung, ... deshalb muss sie nun immer ..., ... daher kann sie nun nicht mehr ..., u.s.w.)

Durch die „Enttarnung“ der Ignatia-Frau, der Sepia-Frau oder der Lachesis-Frau  hat man nun „ihr“ Mittel für alle Fälle gefunden und gleichzeitig einen tiefen Blick in ihr innerstes Wesen mit all seinen Konflikten getan. Auf diese Weise werden stereotype und antiquierte Frauenbilder munter weitertransportiert, Schubladen auf- und zugezogen und Listen abgehakt. Was im ersten Moment aussieht wie ein besonders empathisches Vorgehen verkehrt sich so schnell ins Gegenteil. Die Therapeutin läuft hier Gefahr, nur noch das zur Kenntnis zu nehmen was ins Schema passt und presst Frauen in Korsette die nicht passen und vor allem zu eng sind.

Es befremdet mich sehr, dass ausgerechnet unter Hebammen diese Vorgehensweise so große Akzeptanz erfährt. Sie lässt die Vielschichtigkeit menschlicher Charaktere, den Facettenreichtum persönlicher Entwicklung und die Individualität mit der sich Schicksal vollzieht außer Acht. Und auch  Hebammen büßen dadurch viel  an Offenheit in der Wahrnehmung und Unvoreingenommenheit, sowie den Respekt vor der Einzigartigkeit der anderen Persönlichkeit ein.

In meinen Augen zählt es nicht nur zu den Voraussetzungen, sondern auch zu den großen Vorzügen der klassischen Homöopathie, dass sie nicht interpretiert oder gar wertet, sondern wahrnimmt. Auch für Hebammen ist dies eine durchaus erstrebenswerte Tugend.

 

Mit diesem Beitrag möchte ich zu einer Diskussion anregen, darüber welche Ansprüche  Hebammen in Zukunft an ihre homöopathische Tätigkeit stellen wollen. Wir sollten die Maßstäbe definieren, an denen wir uns messen lassen.

Und bestimmt wäre es ein wichtiger Schritt, nicht weiter nur im eigenen Saft zu schmoren, sondern die Kommunikation mit anderen Berufsgruppen zu suchen, die ebenfalls homöopathisch arbeiten. Sie sind in mancher Hinsicht bereits einen großen Schritt weiter und wir könnten davon profitieren.

 

 Veröffentlicht im Hebammenforum – Magazin des Bundes Deutscher Hebammen, Mai 2003 , Seite 317ff.

© (außer angeführte Zitate) Helga Häusler - www.hhaeusler.de


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